Der König Kandaules

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Operndaten
Titel: Der König Kandaules

Jean-Léon Gérôme – Kandaules

Form: Oper in drei Akten
Originalsprache: Deutsch
Musik: Alexander Zemlinsky
Libretto: Alexander Zemlinsky
Literarische Vorlage: Le Roi Candaule von
André Gide
Uraufführung: 6. Oktober 1996
Ort der Uraufführung: Hamburg
Spieldauer: ca. 2 ¼ Stunden
Ort und Zeit der Handlung: Lydien, in alten Zeiten
Personen
  • König Kandaules (dramatischer Tenor)
  • Nyssia, Königin (dramatischer Sopran)
  • Gyges, ein Fischer (dramatischer Bariton)
  • Trydo, seine Frau (stumme Rolle)
  • Phedros, Gast (lyrischer Bariton)
  • Syphax, Gast (lyrischer Tenor)
  • Nicomedes, Gast (Bariton)
  • Pharnaces, Gast (Bass)
  • Philebos, Gast (Bass)
  • Simias, Gast (Tenor)
  • Sebas, Gast (Tenor)
  • Archelaos, Gast (Bass)
  • Der Koch (Bass)
  • Musikanten, Diener

Der König Kandaules ist eine Oper von Alexander Zemlinsky. Das Libretto stammt vom Komponisten selbst und ist eine Adaption von André Gides Drama Le Roi Candaule. Die Komposition blieb zunächst unvollendet. Sie wurde erst im November 1993 von Antony Beaumont fertiggestellt und in dieser Fassung am 6. Oktober 1996 in Hamburg uraufgeführt. Die Geschichte ist ein schon bei Herodot erwähnter alter Sagenstoff aus dem antiken Kleinasien und handelt von der Entthronung der angestammten lydischen Königsdynastie unter König Sadyattes I. (Kandaules) durch Gyges, den Begründer der Mermnaden.

Der König Kandaules und der arme Fischer Gyges kennen einander seit der Kindheit, haben sich aber seither entfremdet. Gyges besitzt nur fünf Dinge: seine Hütte, sein Boot, sein Netz, seine Frau und seine Armut. Für ein Festmahl des Königs liefert er einen Fisch. Kandaules ist sehr stolz auf die Schönheit seiner Gattin Nyssia und nimmt die Gelegenheit wahr, sie zum ersten Mal seinen Höflingen zu präsentieren, wobei er ihren Gesichtsschleier lüftet. Nyssia ist wenig begeistert davon, gegen alle Sitte wie ein Gegenstand begutachtet zu werden. Archelaos, einer der Gäste, findet im Inneren des Fischs einen Ring, der die Aufschrift trägt: „Ich verberge das Glück“. Um das Rätsel zu lösen, wird Gyges herbeigerufen. Während sie warten, beobachten die Gäste, wie dessen Hütte in Flammen aufgeht. Gyges erzählt, sie sei versehentlich von seiner betrunkenen Frau Trydo in Brand gesteckt worden. Kandaules lässt auch sie holen. Als der Gast Sebas Andeutungen über ihre Treue macht, ermordet Gyges sie mit einem Messer. Kandaules ist beeindruckt von Gyges und macht ihn zu seinem Vertrauten.

Die Freundschaft zwischen Gyges und Kandaules lebt wieder auf. Sie trinken zusammen Wein und unterhalten sich über die Gründe für Gyges’ Mord an seiner Frau. Gyges erklärt, er habe sie geliebt, sie aber nicht mit jemand anderem teilen wollen. Kandaules möchte die Freundschaft besiegeln, indem er mit Gyges seinen kostbarsten Schatz teilt – den Anblick seiner nackten Frau. Er drängt dem sich anfangs wehrenden Gyges den im Fisch gefundenen Ring auf, von dem er mittlerweile herausgefunden hat, dass er magisch ist und die Fähigkeit hat, seinen Träger unsichtbar zu machen. Nyssia betritt das Schlafzimmer. Sie zürnt noch immer über ihre öffentliche Entschleierung. Kandaules hilft ihr beim Entkleiden und verlässt heimlich das Zimmer. Der unsichtbare Gyges ist nun mit ihr allein. Er kann ihrer Schönheit nicht widerstehen und verbringt die Nacht mit ihr, die ihn für ihren Ehemann hält.

Am nächsten Tag erzählt Philobos den anderen Höflingen von der Wirkung des Ringes: Der König suche noch immer nach dem unsichtbaren Träger. Unterdessen schwärmt Nyssia Kandaules von der letzten Nacht vor, was diesen rasend eifersüchtig macht. Der noch immer unsichtbare Gyges vernimmt das Gespräch. Er wird darauf so von Gewissensbissen geplagt, dass er Nyssia den Betrug beichtet. Die tief in ihrer Ehre gekränkte Königin rächt sich am Verrat ihres Gatten, indem sie Gyges zwingt, Kandaules zu töten und sich an seine Stelle zu setzen. Noch im Sterben verzeiht Kandaules seinem Freund. Somit ist Gyges jetzt König an Nyssias Seite, aber kaum weniger besiegt als sein Freund und Widerpart Kandaules. Nyssia erklärt, nie wieder einen Schleier tragen zu wollen.

Der Mythos des Königs Kandaules wurde bereits 1844 von Théophile Gautier in der Novelle Le Roi Candaule sowie 1854 von Friedrich Hebbel in dem Drama Gyges und sein Ring verarbeitet. 1899 schuf André Gide sein Schauspiel Le roi Candaule, das 1901 in Paris uraufgeführt und 1905 von Franz Blei ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Fassung wurde erstmals im Januar 1906 am Deutschen Volkstheater in Wien aufgeführt. Sie war kein großer Erfolg und erlebte nur drei Vorstellungen. Eine 1908 in Berlin aufgeführte Inszenierung wurde bei der Premiere ausgepfiffen.[1]:604 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Gides Werk als Sozialdrama betrachtet und später wegen angeblicher kommunistischen Tendenzen von den Nationalsozialisten verboten. Anderen Deutungen zufolge handelt es sich eher um ein Künstlerdrama. G. W. Ireland zufolge ist es „die Geschichte eines unendlich reichen Königs, der seinen Reichtum aber nur genießen kann, wenn er es ihm ermöglicht, andere reich zu machen.“[1]:605 f

Alexander Zemlinsky trug sich längere Zeit mit dem Gedanken, eine Opernfassung des Textes anzufertigen. Jedoch erst nach seiner Rückkehr nach Wien im Jahr 1933 ging er dieses Projekt konkret an. Zunächst schrieb er das Libretto sowie das Particell.[2] Nach der Komposition des ersten Aktes legte er eine längere Pause ein. Den zweiten Akt stellte er am 29. August 1936 fertig, und den dritten Akt am 29. Dezember. Zu diesem Zeitpunkt stellte er fest, dass der erste Akt stilistisch nicht zu den beiden folgenden passte. Daher überarbeitete er diesen im Jahr 1937 grundlegend. Im Frühjahr 1938 waren drei Viertel des neuen ersten Aktes (885 Takte) als Particell und 846 Takte der Partitur fertiggestellt. Nach dem „Anschluss Österreichs“ durch die Nationalsozialisten im März 1938 legte er die Arbeit nieder.[1]:600

Als der Komponist aufgrund seiner jüdischen Herkunft im Dezember 1938 vor den Nazis nach New York fliehen musste, war das Werk daher noch nicht fertiggestellt.[2] Da im zweiten Akt eine kurze Nacktszene vorgesehen war und Artur Bodanzky – der damalige Chefdirigent der Metropolitan Opera und seit längerem ein guter Bekannter Zemlinskys – ihm zu verstehen gab, dass dies in den USA unaufführbar sei, gab Zemlinsky die Arbeit an der Oper auf.[1]:601 f

Bereits wenige Jahre nach Zemlinskys Tod (1942) bemühte sich seine Witwe Louise um eine Fertigstellung der Partitur. Der von ihr zunächst angesprochene Komponist in New York lehnte den Auftrag jedoch ab. 1981 unternahm sie einen weiteren Versuch bei dem Komponisten Friedrich Cerha, der sich das Manuskript ansah und das Vorhaben aufgrund der scheinbar beträchtlichen Lücken aufgab. Das Particell befand sich zu dieser Zeit aufgrund einer fehlerhaften Nummerierung durch Bibliothekare in einem sehr ungeordneten Zustand, der erst später mit Hilfe von älteren Mikrofilmen wieder behoben werden konnte. Im Februar 1992 übernahm Antony Beaumont die Aufgabe der Fertigstellung anhand der vorhandenen Quellen. Bezüglich der geplanten Instrumentierung konnte er sich an den darin enthaltenen Notizen orientieren.[1]:609 ff Als schwieriger erwiesen sich jedoch die von Zemlinsky noch nicht umgearbeiteten Teile des ersten Aktes. Teile des dritten Aktes (das Vorspiel und der Monolog des Gyges) wurden am 15. Mai 1992 in einem Konzert der Wiener Festwochen aufgeführt. Am 14. November 1993 war die Arbeit abgeschlossen.[1]:612

Die Uraufführung am 6. Oktober 1996 in Hamburg wurde von Gerd Albrecht geleitet. Es sangen James O’Neal (Kandaules), Nina Warren (Nyssia), Monte Pederson (Gyges), Klaus Häger (Phedros), Peter Galliard (Syphax), Mariusz Kwiecień (Nicomedes), Kurt Gysen (Pharnaces), Simon Yang (Philebos), Ferdinand Seiler (Sebas) und Guido Jentjens (Archelaos).[3]

Mittlerweile ist diese Oper mehrfach produziert worden:

Bereits Zemlinskys Particell enthielt nähere Angaben über die vorgesehene Instrumentierung. Neben besonderen Instrumenten wie Altsaxophon oder Es-Klarinette waren darin auch Spieltechniken wie „Flatterzunge“ oder „sul ponticello“ festgelegt. Eine Besonderheit ist das in der gesamten Partitur bemerkbare Verfahren, um die Gesangslinie herum ein „Fenster“, d. h. einen Freiraum im Umfang von ungefähr einer Quinte freizulassen, um die Stimme besser durchhörbar zu machen.[1]:610 f Weitere Merkmale sind Klangflächen, Orgelpunkte, bitonale Abschnitte und eine erweiterte Harmonik, die an die Grenzen der Tonalität reicht.[2] Zemlinsky selbst bezeichnete sein Werk in einem Interview für die New York Times als „ultramodern“.[1]:601 Trotz der genannten modernen Techniken vermied Zemlinsky jedoch die Verfahren der Zwölftonmusik. Auch in den „Unsichtbarkeitsclustern“ verzichtete er auf Akkorde, die sämtliche zwölf Halbtöne enthalten.[1]:618

Dem Prolog folgt ohne Unterbrechung der erste Akt. Dieser ist in vier durch gesprochene Passagen voneinander abgesetzte Abschnitte unterteilt.[1]:614 Aufgrund der nicht fertiggestellten Überarbeitung des ersten Aktes verwendete Beaumont ab dem Auftritt des Gyges die Ursprungsfassung von 1935 und verzichtete dabei auf die letzten zehn Takte von Zemlinskys Neufassung.[1]:613

Die einzelnen Teile des zweiten Akts sind weniger scharf voneinander abgesetzt. Dagegen lassen sich hier deutlich unterschiedliche Formen unterscheiden. Die Anfangsszene von Gyges und Kandaules besteht aus vier Teilen: einer auch in der Partitur so gekennzeichneten „Ballade“, einem Trauermarsch, einem quasi Andante im 3/4-Takt und einer Rhapsodie im 6/8-Takt mit einem Altsaxophon-Solo. Es folgen eine Fughetta, in der Kandaules in Form eines Sprechgesangs von seinen Erfahrungen mit dem Ring erzählt (bei der Uraufführung ausgelassen), eine Folge von freien Variationen über das „Ring“-Motiv sowie nach einer längeren Überleitung zum Auftritt Nyssias die Scène d’amour. Diese besteht aus der Überlagerung eines symphonischen Adagios mit einer ausgedehnten Rondoform und ist an den zweiten Akt von Alban Bergs Lulu angelehnt.[1]:614

  • Uwe Sommer: Alexander Zemlinsky: Der König Kandaules. (Musik-Konzepte; Heft 92/94). München 1996: Edition Text und Kritik, ISBN 3-88377-546-0
  • Der König Kandaules. In: Antony Beaumont: Alexander Zemlinsky. Aus dem Englischen von Dorothea Brinkmann. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2005, ISBN 3-552-05353-0, S. 600–619
  • Oswald Panagl: Vollendet und der Opernbühne erschlossen. Zu Der König Kandaules von Alexander Zemlinsky, in ders.: Im Zeichen der Moderne. Musiktheater zwischen Fin de Siècle und Avantgarde. Hollitzer Verlag, Wien 2020, ISBN 978-3-99012-902-9, S. 393–395.

Einzelnachweise

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  1. a b c d e f g h i j k l Alexander Beaumont: Alexander Zemlinsky. Aus dem Englischen von Dorothea Brinkmann. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2005, ISBN 3-552-05353-0.
  2. a b c d e Der König Kandaules. In: Harenberg Opernführer. 4. Auflage. Meyers Lexikonverlag, 2003, ISBN 3-411-76107-5, S. 1081 f.
  3. 6. Oktober 1996: „Kandaules“. In: L’Almanacco di Gherardo Casaglia, abgerufen am 24. September 2015.
  4. König Kandaules an der Volksoper Wien, 28. Juni 1997, abgerufen am 24. September 2015.
  5. Miguel Ángel Aguilar Rancel: „Der König Kandaules“: la senda a recorrer. (Memento vom 25. September 2015 im Internet Archive) auf diariodeavisos.com, 6. Februar 2005 (spanisch).
  6. Más teatro musical que ópera. In: La Nacion, 4. September 2005, abgerufen am 24. September 2015 (spanisch).
  7. Stefan Schmöe: Der König Kandaules. In: Online Musik Magazin, 2005, abgerufen am 24. September 2015.
  8. Frits van der Waa: Drie formidable zangers in zwanenzang Von Zemlinsky. In: De Volkskrant, 15. August 2010, abgerufen am 24. September 2015 (niederländisch).
  9. Dieter Lintz: Kaiserslautern, Zemlinsky: König Kandaules. In: Opernwelt März 2009. Der Theaterverlag, Berlin 2009, S. 44.
  10. Anke Groenewold: Umjubelte Premiere der Zemlinsky-Oper „Der König Kandaules“. In: Neue Westfälische, 21. Juni 2010, abgerufen am 24. September 2015.
  11. Zemlinsky o dell’innocenza perduta. Rezension vom 27. Mai 2012 auf BelliniNews (italienisch) (Memento vom 18. Februar 2013 im Webarchiv archive.today).
  12. Das Theater Augsburg feiert Premiere der Oper „Der König Kandaules“. In: Presse Augsburg, 23. September 2015, abgerufen am 24. September 2015.
  13. Volker Tarnow: Wenn der Schleier fällt. Rezension der Produktion in Dessau 2023. In: Opernwelt April 2023. Der Theaterverlag, Berlin 2023, S. 48.
  14. a b Alexander von Zemlinsky. In: Andreas Ommer: Verzeichnis aller Operngesamtaufnahmen. Zeno.org, Band 20.