Flechtenexposition

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Die Flechtenexposition ist ein bioindikatives Verfahren zur Ermittlung von Luftverunreinigungen. Mit ihrer Hilfe werden Wirkungen von Luftverunreinigungen integral erfasst.

Im Gegensatz zu chemisch-physikalischen Messdaten zeigen die durch Biomonitoring gewonnenen Ergebnisse Wechselwirkungen verschiedener Einzelkomponenten an.[1] Als Bioindikator werden bevorzugt solche Organismen herangezogen, die im Untersuchungsgebiet allgegenwärtig sind. Die diese Voraussetzungen erfüllenden Flechten reagieren außerordentlich empfindlich auf Luftverunreinigungen, da ihre Stoffaufnahme und somit die Schadstoffaufnahme fast ausschließlich über die Luft und über Niederschläge erfolgt. Im Gegensatz zu höheren Pflanzen besitzen sie keine Schutzschicht, sodass Luftschadstoffe weitgehend ungehindert in die Flechte eindringen können. Flechten fehlt die Möglichkeit zur schnellen Regeneration. Da sie nicht über die Fähigkeit verfügen, Schadstoffe aktiv auszuscheiden, findet in ihnen eine Akkumulation statt. Flechten können auch im Winterhalbjahr Schadstoffe aufnehmen, weil sie auch bei niedrigen Temperaturen stoffwechselaktiv sind.

Hypogymnia physodes auf einem Baumstamm

Für das Verfahren der Flechtenexposition hat sich die Flechtenart Hypogymnia physodes bewährt. Sie reagiert besonders empfindlich auf das gleichzeitige Einwirken von Ozon und Schwefeldioxid.[2] Sie fehlt aber in landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen fast vollständig.[3]

Die Entnahme der Flechten mitsamt Borke erfolgt in der Regel an gefällten Bäumen, bevorzugt Eichen. Zur mehrmonatigen Akklimatisation werden die Flechten mit Baumharz auf einem Gestell aus unbehandeltem Holz befestigt und an einem immissionsarmen Standort, der klimatisch dem späteren Expositionsort ähnelt, aufbewahrt. Die eigentliche Exposition findet mithilfe von sogenannten Flechtentafeln oder Flechtenrädern statt. Flechtentafeln sind harzfreie Holztafeln mit Bohrungen, in denen die Borkenstücke eingelassen sind. Flechtenräder werden über napfförmige Schaufeln vom Wind angetrieben. Sechs Flechtenkörper werden dabei, vergleichbar dem Mankschen Karussell,[4] gleichmäßig auf einer bestimmten Höhe um die senkrechte Achse verteilt. Bei beiden Geometrien werden die Flechten 360 Tage exponiert, wobei der Startzeitpunkt sich um den 1. Oktober bewegen sollte. Zu Beginn und Ende der Expositionszeit erfolgt eine photographische Erfassung der Flechten. Der Abgleich zwischen den Photographien liefert das Messergebnis, das als Schädigungsgrad ausgegeben wird.

Die Expositionsvorrichtung soll frei anströmbar sein und so aufgebaut sein, dass die Exponate sich im Mittel anderthalb Meter über dem Boden befinden. Werden Flechtentafeln verwendet, so sollen diese nach Norden ausgerichtet sein, um Einflüsse der Sonneneinstrahlung auf das Einbettungsmedium zu verhindern.[5] Wird in Gebieten, in denen Hypogymnia physodes natürlich vorkommt, die Methode der Flechtenexposition angewandt, so ist zusätzlich das Verfahren der Flechtenkartierung anzuwenden.[6]

Die Flechtenexposition wurde in den 1960er-Jahren von Helfried Schönbeck von der damaligen Landesanstalt für Immissions- und Bodennutzungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen entwickelt.[4][5] Sie wurde 1991 mit der Richtlinie VDI 3799 Blatt 2 standardisiert.[7] Bereits in den 1980er-Jahren wurde die Flechtenexposition zur wirkungsbezogenen Immissionsmessung eingesetzt.[8]

  • VDI 3799 Blatt 2:1991-10 Messung von Immissions-Wirkungen; Ermittlung und Beurteilung phytotoxischer Wirkungen von Immissionen mit Flechten; Verfahren der standardisierten Flechtenexposition (Measurement of immission effects; measurement and evaluation of phytotoxic effects of ambient air pollutants (immissions) with lichens; method of standardized lichen exposure). Beuth Verlag, Berlin. (Zusammenfassung und Inhaltsverzeichnis online)

Einzelnachweise

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  1. VDI 3957 Blatt 1:2014-09 Biologische Messverfahren zur Ermittlung und Beurteilung der Wirkung von Luftverunreinigungen auf Pflanzen (Biomonitoring); Grundlagen und Zielsetzung (Biological measuring techniques for the determination and evaluation of effects of air pollutants on plants (biomonitoring); Fundamentals and aims). Beuth Verlag, Berlin, S. 3.
  2. R. Guderian, K. Küppers, R. Six: Wirkungen von Ozon, Schwefeldioxid und Stickstoffdioxid auf Fichte und Pappel bei unterschiedlicher Versorgung mit Magnesium und Kalzium sowie auf die Blattflechte Hypogymnia physodes. In: Kommission Reinhaltung der Luft im VDI und DIN (Hrsg.): Aktuelle Waldschäden. VDI-Verlag Düsseldorf 1990, ISBN 3-18-090560-3, S. 657–701.
  3. Isabelle Franzen-Reuter: Auswirkungen experimenteller Stickstoffgaben auf den Stickstoffgehalt ausgewählter Epiphyten. In: Gefahrstoffe – Reinhalt. Luft. 73, Nr. 4, 2013, ISSN 0949-8036, S. 159–166.
  4. a b Franz Joseph Dreyhaupt (Hrsg.): VDI-Lexikon Umwelttechnik. VDI-Verlag Düsseldorf 1994, ISBN 3-18-400891-6, S. 496–497.
  5. a b Helfried Schönbeck: Eine Methode zur Erfassung der biologischen Wirkung von Luftverunreinigung durch transplantierte Flechten. In: Staub – Reinhalt. Luft. 29, Nr. 1, 1969, S. 14–18.
  6. VDI 3799 Blatt 2:1991-10 Messung von Immissions-Wirkungen; Ermittlung und Beurteilung phytotoxischer Wirkungen von Immissionen mit Flechten; Verfahren der standardisierten Flechtenexposition (Measurement of immission effects; measurement and evaluation of phytotoxic effects of ambient air pollutants (immissions) with lichens; method of standardized lichen exposure). Beuth Verlag, Berlin, S. 4.
  7. Willfried Nobel, Heike Beismann, Jürgen Franzaring, Reinhard Kostka-Rick, Gerhard Wagner, Walter Erhardt: Standardisierte biologische Messverfahren zur Ermittlung und Bewertung der Wirkung von Luftverunreinigungen auf Pflanzen (Bioindikation) in Deutschland. In: Gefahrstoffe – Reinhalt. Luft. 65, Nr. 11/12, 2005, ISSN 0949-8036, S. 478–484.
  8. Harald Bartholomeß: Wirkungsbezogene Langzeitbeobachtung von Umweltbelastungen. In: Gefahrstoffe – Reinhalt. Luft. 60, Nr. 9, 2000, ISSN 0949-8036, S. 361–366.