Gerhard Schumann (Schriftsteller)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Gerhard Schumann (* 14. Februar 1911 in Eßlingen; † 29. Juli 1995 in Bodman) war ein deutscher Schriftsteller, wirkungsvoller Propagandist der NS-Zeit und NS-Kulturfunktionär. Er schloss sich schon früh dem Nationalsozialismus an und erhielt zahlreiche NS-Ehrungen. Er trug mit seinen schriftstellerischen wie mit seinen kultur- und allgemeinpolitischen Beiträgen zur Durchsetzung und zur Aufrechterhaltung des NS-Systems bei. Im Nachkriegsdeutschland war Schumann als Verleger tätig.

Weimar und Nationalsozialismus

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schumann, Sohn eines Lehrers, wuchs in Künzelsau auf. Er besuchte die evangelisch-theologischen Seminare in Schöntal und Urach und schloss sich früh der Jugendbewegung an. Seine ersten Gedichte erschienen ab 1928 in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften.

1930 begann er in Tübingen ein Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie, das er abbrach. Mit Studienbeginn trat er in die Verbindung Luginsland, die NSDAP, die SA und den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund ein.[1] Schon vor der Machtübernahme durch die NSDAP und deren Bündnispartner war er Bezirksführer des NS-Studentenbundes und Führer der studentischen SA Württembergs im Rang eines Standartenführers. Von dem nationalsozialistischen Kultusminister Christian Mergenthaler wurde er im April 1933 als Kommissar für die württembergischen Studentenschaften in das Kultusministerium berufen. Er beteiligte sich in diesen Funktionen führend an der Gleichschaltung der Tübinger Universität. Im April 1933 untersagte er für die Universitäten Stuttgart und Tübingen die Teilnahme an den von lokalen Studentenschaften, dem NS-Studentenbund und studentischen Verbindungen getragenen Bücherverbrennungen („Aktion wider den undeutschen Geist“).[2] Dieses Verbot resultierte nicht aus inhaltlichen kulturpolitischen oder ethischen Einwänden oder etwa aus einem Respekt gegenüber der verbrannten „undeutschen“ Literatur und ihren Autoren, sondern aus NS-internen Rivalitäten.[3] Die Schumann unterstellte Studentenschaft Tübingen hatte nämlich bereits im April 1933 in einer den Bücherverbrennungen vorgezogenen Aktion mit einem Fünfpunkteplan „unverzüglich energische Maßnahmen“ gegen die als „Schund- und Schmutzliteratur“ vom Nationalsozialismus diffamierte, bekämpfte und verbotene Literatur ergriffen.[3]

Von der NS-Literaturkritik als einer der bedeutendsten Vertreter der jungen Schriftstellergeneration gefeiert, machte Schumann als Autor und Kulturfunktionär rasch Karriere. Er wurde zudem hoch geehrt. 1935 war er zusammen mit Georg Schmückle der erste Träger des neugeschaffenen und bis 1942 verliehenen Schwäbischen Dichterpreises. 1936 wurde ihm in Anwesenheit Hitlers der vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda gestiftete Nationale Buchpreis verliehen. 1935 berief Joseph Goebbels ihn in den Reichskultursenat. Ab 1938/39 leitete Schumann die Gruppe Schriftsteller der Reichsschrifttumskammer. Ferner war er Mitglied des 1936–1943 bestehenden Bamberger Dichterkreises.

Nach dem Kriegsdienst ab 1939 wurde er 1942 Chefdramaturg am Württembergischen Staatstheater in Stuttgart und 1943 erster Präsident der Hölderlin-Gesellschaft. 1944 ging Schumann in die Kulturabteilung des SS-Hauptamtes. Schumanns letzter SS-Rang war der eines SS-Obersturmführers.

Der nach 1945 als „HJ-Barde“ Beschriebene sah sich selbst als „Ritter am heiligen Gral deutscher Kultur“.[4] Seine Lyrik, in der die NS-Ideologie mit quasireligiösem Pathos umgesetzt wurde, forderte die Wiederauferstehung des „Reiches“ durch Selbstaufopferung und verherrlichte den von ihm messianisch verklärten „Führer“.

Aus: Wir dürfen dienen. Gedichte (1943):[5]

Einer: Du bist das Ganze!
Chor: Führer!
Einer: Wir sind dein Teil!
Chor: Führer!
Einer: Dein Werk und dein Reich. Sieg
Alle: Heil!

Auch in seinem Werk Gudruns Tod (1943) ging es um Selbstaufopferung. Daher ordnete der Lübecker Rezensent den Schriftsteller als Vertreter "der stählernen Romantik unserer Tage" ein.[6]

Aus dem Gedicht Schwur, 1940 in einem Gedichtband herausgegeben:[7]

Die Grenzen dunkeln und drohen
Von Wettern, und Blitze lohen.
Dämonen schüren den Brand.
Wir aber stehen mit hohen
Herzen und tatenfrohen
Händen zu Führer und Land.

Nach dem Ende des NS-Regimes

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1945 wurde Schumann als herausgehobenes SS-Mitglied von der Militärregierung festgenommen und war bis 1948 in Internierungshaft. In dem anschließenden Entnazifizierungsverfahren wurde er dank mehrerer Persilscheine, so von dem prominenten NS-Wegbereiter und -Parteigänger Hans Grimm, und mit der Begründung, er sei wieder der evangelischen Kirche beigetreten, schließlich in die Kategorie IV („minderbelastet“ / „Mitläufer“) eingestuft, die in den Westzonen nach mehrjährigem Durchlauf durch die „Mitläuferfabrik“ (Lutz Niethammer) in einem Milderungsprozess am Ende die meisten Nichtentlasteten aufnahm.[8]

Viele der Schumann-Schriften wurden in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR als NS-belastet auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.[9]

Schumann steht für bundesdeutsche literatur- und kulturpolitische Kontinuitäten nach dem Ende des NS-Regimes: 1949 gründete er den „Europäischen Buchklub“, der bald etwa 200.000 Mitglieder zählte, darunter die damaligen Minister Erhard und Seebohm, aber auch Martin Niemöller, Erich Ollenhauer und Willy Brandt. Eine Reihe alter NS-Schriftstellerkollegen wie Hans Grimm, Hans Friedrich Blunck, Mirko Jelusich, Eberhard Wolfgang Möller, Bruno Brehm und Erwin Guido Kolbenheyer förderte er durch Aufnahme ihrer Bücher in das Programm der Buchgemeinschaft. Der Buchklub ging 1962/63 in dem Bertelsmann-Konzern auf, von dem einige der rechtsradikalen Autoren in den Bertelsmann Lesering übernommen wurden.[10] 1962 begründete Schumann den rechtsextremistischen „Hohenstaufen Verlag“.[11] Schumann betätigte sich ferner im Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes, einer Organisation, die 1950 von dem ehemaligen Kollegen Schumanns in der „Reichsschrifttumskammer“, Herbert Böhme, gegründet wurde und als Dachorganisation rechtsnationaler und rechtsextremistischer Gruppierungen fungierte.[12]

Mit dem Ende des Nationalsozialismus endete Schumanns schriftstellerische Laufbahn. Wahrgenommen wurde er nur mehr unter der zeithistorischen Überschrift „Literatur im Nationalsozialismus“ und im rechtsradikalen Milieu. Dort wurde er geehrt, so 1974 mit dem Dichtersteinschild des 1999 wegen NS-Wiederbetätigung verbotenen Vereins Dichterstein Offenhausen, 1981 mit der „Ulrich-von-Hutten-Medaille“ des gleichnamigen Freundeskreises oder 1983 mit dem Schillerpreis des Deutschen Volkes des Deutschen Kulturwerkes Europäischen Geistes.

Der Dichter und Büchnerpreisträger Hermann Lenz, der Schumann aus Künzelsau, Tübingen und Stuttgart kannte, machte ihn in seinen Werken unter dem Namen „Schöllkopf“ zur Romanfigur.[13]

Eine jüngere distanzierte Analyse kommt zu der Feststellung, „seine Lyrik hatte Propagandafunktion und trug dazu bei, das nationalsozialistische Herrschaftssystem zu etablieren und zu stützen.“[14]

  • Die Lieder vom Reich (1930)
  • Ein Weg führt ins Ganze. Gedichte (1932)
  • Fahne und Stern. Gedichte (1934)
  • Die Reinheit des Reichs (1934)
  • Das Reich. Drama (1935)
  • Siegendes Leben. Dichtungen für eine Gemeinschaft (1935)
  • Wir aber sind das Korn. Gedichte (1936)
  • Entscheidung. Schauspiel (1938)
  • Schau und Tat. Gedichte (1938)
  • Bewährung. Gedichte (1940)
  • Die Lieder vom Krieg (1941)
  • Ring des Jahres (1943) (Sammlung mit das Dritte Reich verherrlichenden Gedichten von u. a. Schumann selbst, Eberhard Wolfgang Möller, Hanns Johst, Carl Maria Holzapfel, Herbert Böhme)
  • Ruf und Berufung. Aufsätze und Reden (1943)
  • Wir dürfen dienen. Gedichte (1943)
  • Gudruns Tod. Tragödie (1943)
  • Gesetz wird zu Gesang (1943)
  • Die große Prüfung. Neue Gedichte (1953)
  • Freundliche Bosheiten. Heitere und besinnliche Verse (1955)
  • Die Tiefe trägt. Gedichte einer Jugend (1957)
  • Stachel-Beeren-Auslese. Neue besinnlich-heitere Verse mit Zeichnungen von Karl Staudinger (1960)
  • Leises Lied. Gedichte (1962)
  • Ein Weihnachtsmärchen (1963)
  • Der Segen bleibt. Gedichte (1968)
  • Besinnung. Von Kunst und Leben (1974) [Autobiographie]
  • Bewahrung und Bewährung. Gedichte (1976)
  • Spruchbuch (1981)
  • Trost und Zuversicht aus Lyrik und Prosa (1991)

Mitgliedschaften (Auswahl)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Christian Adam: Der Traum vom Jahre Null. Autoren, Bestseller, Leser. Die Neuordnung der Bücherwelt in Ost und West nach 1945. Galiani, Berlin 2016, S. 327–332.
  • Gerhard Schumann. In: Das kleine Buch der Dichterbilder. Albert Langen / Georg Müller, München 1938, S. 49 mit Fotografie (=Die kleine Bücherei).
  • Jan Bartels: Gerhard Schumann: Der „nationale Sozialist“. In: Rolf Düsterberg (Hrsg.): Dichter für das „Dritte Reich“. Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2009, ISBN 978-3-89528-719-0.
  • Simone Bautz: Gerhard Schumann – Biographie. Werk. Wirkung eines prominenten nationalsozialistischen Autors. Dissertation, Justus-Liebig-Universität-Gießen, 2008, urn:nbn:de:hebis:26-opus-59997 (Volltext)[15].
  • Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. Begründet von Wilhelm Kosch. Band 16. A. Francke, Bern 1996, Sp. 648.
  • Manfred Bosch: Gerhard Schumann: „Wenn einer von uns fällt, tritt stumm der Nächste vor“. In: Wolfgang Proske (Hrsg.): Täter, Helfer, Trittbrettfahrer. Band 5. NS-Belastete aus dem Bodenseeraum. Kugelberg, Gerstetten 2016, S. 219–235, ISBN 978-3-945893-04-3.
  • Jürgen Hillesheim, Elisabeth Michael (Hrsg.): Lexikon nationalsozialistischer Dichter. Biographien, Analysen, Bibliographien. Königshausen & Neumann, Würzburg 1993, S. 403–412, ISBN 978-3-88479-511-8 (auszugsweise Google Books).
  • Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Vollständig überarbeitete Ausgabe. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-596-17153-8.
  • Ernst Loewy: Literatur unterm Hakenkreuz. Das Dritte Reich und seine Dichtung. 2. unv. Auflage. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1967, 366 S.
  • Hans Sarkowicz, Alf Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biographisches Lexikon. Erw. Neuauflage. Europa Verlag, Hamburg/Wien 2002, ISBN 3-203-82030-7.
  • Albrecht Schöne: Über politische Lyrik im 20. Jahrhundert. 3. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1972.
  • Karl-Heinz J. Schoeps: Zur Kontinuität der völkisch-nationalkonservativen Literatur vor, während und nach 1945: Der Fall Gerhard Schumann. In: Monatshefte für deutschsprachige Literatur, 91, 1999, S. 45–63.
  • Wulf Segebrecht: Der Bamberger Dichterkreis. 1936–1943. Peter Lang, Frankfurt/M. u. a. 1987, ISBN 978-3-8204-0104-2, S. 209–218.
  • Michael Spohn: Wir aber, wir waren Idealisten. Der höchst private "Nationalsozialismus" des Gerhard Schumann. In: Ausstellungsreihe Stuttgart im Dritten Reich. Anpassung, Widerstand, Verfolgung. Die Jahre von 1933 bis 1939. Landeshauptstadt Stuttgart, Stuttgart 1984, S. 164–169.
  • Marcel Steinbach, Annelies Senf: Kalt geträumt (Führers Bettlektüre, IV.). In: Jungle World, 18, 23. April 2003.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Bernhard Grün: "Burschen heraus – traget die Fahne des Reichs voraus!" Musik als Waffe der politischen Erziehung der Reichsstudentenführung, in: Einst und Jetzt. Jahrbuch für corpsstudentische Geschichtsforschung 69 (2024), S. 246.
  2. Hans-Wolfgang Strätz: Die studentische „Aktion wider den undeutschen Geist“ im Frühjahr 1933. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 16 (4) 1968, S. 559, ifz-muenchen.de (PDF; 5,5 MB)
  3. a b Werner Treß, Wider den Undeutschen Geist: Bücherverbrennung 1933, Berlin 2008, S. 119.
  4. Zitate: Affären: Nicht erst von 33 an. In: Der Spiegel. Nr. 52, 1950, S. 38 (online). Marcel Steinbach, Annelies Senf: Kalt geträumt. In: Jungle World, 18, 23. April 2003.
  5. zit. n. Gerhard Schumann: Undank rings. In: Der Spiegel. Nr. 37, 1959, S. 73 (online).
  6. Jörg Fligge: "Schöne Lübecker Theaterwelt." Das Stadttheater in den Jahren der NS-Diktatur. Lübeck. Schmidt-Römhild, 2018. ISBN 978-3-7950-5244-7. S. 268; 267f., 575.
  7. Volker Koop: Gedichte für Hitler. Zeugnisse von Wahn und Verblendung im «Dritten Reich». be.bra verlag, Berlin 2013, S. 190.
  8. Jan Bartels: Gerhard Schumann – der „nationale Sozialist“. In: Rolf Düsterberg (Hrsg.): Dichter für das „Dritte Reich“. Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie, Aisthesis Verlag, Bielefeld 2009, ISBN 978-3-89528-719-0, S. 284–289.
  9. Liste der auszusondernden Literatur Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone. Zentralverlag, Berlin 1946.
  10. S. Sarkowicz, Mentzer, S. 59. Stefan Busch: Und gestern, da hörte uns Deutschland, Würzburg 1998, S. 25f. u. S. 190 A150.
  11. zuerst Esslingen am Neckar, dann Bodman-Ludwigshafen, seit 1989 München. Er ist eine Wiedergründung: Der Verlag trat bereits 1938–1944 mit der Anschrift Stuttgart, Uhlandstraße 20 auf und verlegte entsprechende Nazi-Lit., z. B. Hans Friedrich Blunck
  12. Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Vollständig überarbeitete Ausgabe. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2009, S. 501.
  13. S. Helmut Hornbogen: Hermann Lenz: Und nie mehr zurückkehren … In: Ders.: Erinnerung an Anfänge – Tübingen – Vom Gedenken. Gespräche mit Albrecht Goes und Hermann Lenz. Tübingen 1996, S. 49–84.
  14. Simone Bautz: Gerhard Schumann – Biographie. Werk. Wirkung eines prominenten nationalsozialistischen Autors. Dissertation, Justus-Liebig-Universität-Gießen, 2008, urn:nbn:de:hebis:26-opus-59997 (Volltext).
  15. Belegexemplar DNB 990513173 bei der Deutschen Nationalbibliothek.