Justizamt (Kurhessen)

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Ein Justizamt war in der Gerichtsverfassung des Kurfürstentums Hessen ein Gericht der unteren Ebene der Rechtsprechung.

Bis zum Tod des Kurfürsten Wilhelm I. 1821 war im Kurfürstentum Hessen ein gewaltiger Reformstau aufgelaufen, da der Kurfürst nach seiner Rückkehr aus dem Exil auf den Thron 1813 viele Reformen rückgängig gemacht und persönlich im 18. Jahrhundert verhaftet geblieben war. Der neue Kurfürst, Wilhelm II., war nicht weniger autokratisch als sein Vater, aber gewillt, den Staat zu modernisieren. Die Staatsverwaltung wurde nach preußischem Muster sofort reformiert, wobei nun auch Rechtsprechung und Verwaltung getrennt wurden.

Bei der Einrichtung der Justizämter wurden im Prinzip die Bezirke bisherigen Ämter beibehalten, einige kleinere aber benachbarten Bezirken zugeschlagen.[1] Nur im Umkreis der größeren Städte des Landes wurden größere Gerichtsbezirke für die Untergerichte gebildet und als Landgerichte bezeichnet.[2] Das Justizamt für die Landeshauptstadt Kassel trug die Bezeichnung „Stadtgericht Kassel“.

Weitere Entwicklung

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Die Justizämter (und das Appellationsgericht Kassel) erwiesen sich bei allen weiteren Justizreformen (1848, 1851 und 1864) als stabile Elemente. Viele bestanden unverändert zwischen 1822 und dem Untergang des Kurfürstentums 1866. 1848 kamen eine Reihe von Justizämtern hinzu, als die Landgerichte ebenfalls in Justizämter zerlegt wurden.[3]

Nach dem Krieg von 1866 annektierte das Königreich Preußen das unterlegene Kurfürstentum Hessen.[4] Damit wurde Kurhessen preußisch und erhielt 1867 eine preußische Gerichtsverfassung. Die Justizämter wurden funktional durch preußische Amtsgerichte ersetzt.[5]

Stellung im Instanzenzug

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Den Justizämtern übergeordnet waren Obergerichte.

Der Bezirk jedes Justizamtes umfasste eine Reihe von Gemeinden. Am Anfang gab es sowohl rein staatliche als auch gemischt staatlich-standesherrliche und staatlich-patrimonialgerichtliche Justizämter.[6] Diese nicht-staatlichen Akteure in der Rechtspflege schieden alle in den Jahrzehnten nach 1822 aus.

Sachliche Zuständigkeit

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Die Justizämter waren in allen Zivilsachen zuständig – mit einer Reihe von Ausnahmen, in denen dann in der Regel die Obergerichte erstinstanzlich tätig wurden. In den Zuständigkeitsbereich der Justizämter fielen:

  • alle zivilrechtliche Streitigkeiten, soweit sie nicht den Obergerichten vorbehalten waren.[7] Eine solche Begrenzung waren zivilrechtliche Streitigkeiten mit einem Streitwert von mehr als 50 Talern.[8] Das galt bis 1864, als die Zuständigkeit auch für höhere Streitsummen auf die Justizämter übertragen wurde.[9] Zu Ausnahmen, in denen statt des Justizamts die nächsthöhere Instanz zuständig war, zählten auch eine Reihe personaler Ausnahmen: Dieses Gerichtsstandsprivileg galt für Angehörige des regierenden Hauses, Standesherren und den schriftsässigen Adel.[10] Mit Abweichungen in den Einzelheiten überstanden diese Ausnahmen alle Justizreformen im Kurfürstentum Hessen (1822, 1848, 1851 und 1864).[11]
  • Aufsicht über die Führung von Vormundschaften.
  • 1864 wurde von den Obergerichten auf die Justizämter die Zuständigkeit für familienrechtliche Streitigkeiten um Verlöbnisse, Trennung von Tisch und Bett, Anerkennung von Vaterschaft und Mutterschaft übertragen[12],
  • Testamente konnten ab 1848 auch bei Untergerichten hinterlegt werden[13], was zuvor nur bei Obergerichten möglich war.

Die Justizämter waren in Strafsachen zuständig für Vergehen die mit „Polizeistrafen“ bedroht waren.[14][Anm. 1] Weiter konnten sie die Untersuchung in Fällen führen, die dann von den Obergerichten abzuurteilen waren.[15]

Anlässlich der Änderungen im Gerichtswesen 1848 wurde die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Obergerichten und Untergerichten in der Strafrechtspflege nur geringfügig geändert.[16] Gleiches gilt für die Justizreform von 1864.[17]

Interne Organisation

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Ein Justizamt bestand personell in der Regel aus einem Richter („Amtmann“), bei umfangreichen Justizämtern konnte ihm ein Assessor beigegeben werden. Außerdem waren dort ein Aktuar und ein oder zwei Gerichtsboten tätig.[18]

  1. Die Obergrenze der „Polizeistrafe“ waren 14 Tage Haft oder eine Geldbuße von höchstens 20 Talern (§ 46 Abs. 1 Nr. 3 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (39f)). Nach heutigen Begriffen ähnelt das einer Ordnungswidrigkeit.

Einzelnachweise

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  1. § 51 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (40f).
  2. § 51 Ziffer 1 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (40f).
  3. § 14 Gesetz vom 31ten October 1848 über die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei den Gerichten. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 31 vom Oktober 1848, S. 163–176 (165).
  4. Gesetz, betreffend die Vereinigung des Königreichs Hannover, des Kurfürstenthums Hessen, des Herzogthums Nassau und der freien Stadt Frankfurt mit der Preußischen Monarchie vom 20. September 1866. In: Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten Nr. 47, S. 555;
    Patent wegen der Besitznahme des vormaligen Kurfürstenthums Hessen vom 3. Oktober 1866. In: Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten Nr. 51, S. 594f.
    Allerhöchste Proklamation an die Einwohner des vormaligen Kurfürstenthums Hessen vom 3. Oktober 1866. In: Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten Nr. 51, S. 595f.
  5. Verordnung über die Gerichtsverfassung in dem vormaligen Kurfürstenthum Hessen und den vormals Königlich Bayerischen Gebietstheilen, mit Ausschluß der Enklave Kaulsdorf vom 26. Juni 1867. In: Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten Nr. 64, S. 1085;
    Verfügung vom 8. August 1867, – betreffend die Einrichtung nach der Allerhöchsten Verordnung vom 26. Juni d. J. in dem vormaligen Kurfürstenthum Hessen und den vormals Königlich Bayerischen Gebietstheilen, mit Ausschluß der Enklave Kaulsdorf, zu bildenden neuen Gerichte. In: Justiz-Ministerial-Blatt für die Preußische Gesetzgebung und Rechtspflege Nr. 31 vom 9. August 1867, S. 221.
  6. Franz / Hofmann / Schaab, S. 194–200.
  7. § 55 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (41).
  8. § 43 Ziffer 1 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (39).
  9. § 13 Gesetz vom 28ten October 1863, die Gerichtsverfassung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 10, Oktober 1863, S. 97–106 (100).
  10. § 44 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (39).
  11. § 13 Gesetz vom 28ten October 1863, die Gerichtsverfassung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 10, Oktober 1863, S. 97–106 (100).
  12. § 13 Gesetz vom 28ten October 1863, die Gerichtsverfassung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 10, Oktober 1863, S. 97–106 (100).
  13. § 8 bsb10510395_00178.html Gesetz vom 31ten October 1848 über die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei den Gerichten. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 31 vom Oktober 1848, S. 163–176 (166).
  14. § 54 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (41).
  15. § 46 Abs. 1 Nr. 1 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (39).
  16. § 11 bsb10510395_00178.html Gesetz vom 31ten October 1848 über die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei den Gerichten. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 31 vom Oktober 1848, S. 163–176 (166f).
  17. § 15 Gesetz vom 28ten October 1863, die Gerichtsverfassung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 10, Oktober 1863, S. 97–106 (100).
  18. § 52 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (40).