Margarete Sommer

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Gedenktafel für Margarete Sommer am Haus Laubacher Straße 15, in Berlin-Friedenau

Margarete (Grete) Sommer (* 21. Juli 1893 in Berlin; † 30. Juni 1965 ebenda) war eine katholische Sozialarbeiterin und Laiendominikanerin. Während des Holocausts half sie verfolgten jüdischen Bürgern, bewahrte viele vor der Deportation in Vernichtungslager. 2003 erhielt sie postum den Ehrentitel Gerechte unter den Völkern.

Grabstein auf dem St. Matthias-Friedhof Berlin-Tempelhof, Abt. 13 W 009/010

Sie wurde als Tochter eines Eisenbahn-Rechnungsrats geboren. 1914 absolvierte sie das Abitur am Werner-Siemens-Realgymnasium in Berlin-Schöneberg, studierte Philosophie, Nationalökonomie, Geschichte und Rechtswissenschaft an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin und der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, promovierte 1924 mit valde laudabile (‚sehr lobenswert‘) über Die Strafgefangenenfürsorge, eine kriminalistisch-sozioökonomische Untersuchung.

Sommer lehrte an der Wohlfahrtsschule des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB), am Jugendheim und der Sozialen Frauenschule. 1927 wurde sie hauptamtliche Dozentin am Fürsorge-Seminar des Pestalozzi-Fröbel-Hauses in Berlin-Friedenau. 1932 schloss sie sich der Dominikanischen Laiengemeinschaft an.[1] Als sie sich im Sommer 1934 weigerte, die Zwangssterilisation behinderter Menschen zu lehren, wurde Margarete Sommer genötigt, ihre Kündigung einzureichen. Aufgrund der dadurch entstehenden finanziellen Situation gab sie ihre Wohnung in Berlin auf und zog mit Mutter und Schwester in ein Haus in Kleinmachnow.

1935 wurde sie Geschäftsführerin des Katholischen Fürsorgevereins für Frauen, Mädchen und Kinder, 1939 Diözesanleiterin für Frauenseelsorge im Bischöflichen Ordinariat in Berlin unter Bischof (später Kardinal) Konrad Graf von Preysing. Im September 1941 übernahm sie als Nachfolgerin Dompropst Bernhard Lichtenbergs die Geschäftsführung des 1938 gegründeten Hilfswerks beim Bischöflichen Ordinariat Berlin (HBOB), das nach außen hin zum Katholizismus konvertierten Juden, tatsächlich aber auch anderen jüdischen Bürgern bei der Wohnungs- und Arbeitssuche sowie der Emigration aus Deutschland half. Als Juden weder arbeiten noch auswandern durften, bemühte sich das Hilfswerk Sommer für sie um Lebensmittel, Bekleidung und Geld.

In der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland half Sommer, untergetauchte Juden in der Herz-Jesu-Kirche an der Fehrbelliner Straße 98 und anderen Orten in Berlin zu verstecken. Ein zwölfjähriges Mädchen wurde unter ihrer Protektion bis 1945 in verschiedenen Kinderheimen verborgen und überlebte. Betroffene Familien ließ Sommer von Pfarrern über geplante Deportationen vorwarnen. Ihre Informationen bezog sie aus einem weitverzweigten Netzwerk, zu dem auch Informanten bei der Gestapo gehörten.

Für die deutsche Kirchenleitung und den Papst schrieb sie detaillierte Berichte über den Holocaust: Ihr erster Bericht vom September 1941 betraf die „Sternverordnung“, der zweite vom Februar 1942 die Lage von „jüdischen Mischlingen“ und „Mischehen“, der dritte vom August 1942 das Schicksal deportierter Juden in den Vernichtungslagern. Darin dokumentierte sie Gräueltaten und Massenerschießungen.[2] Der vierte Bericht vom November 1942 befasste sich mit Äußerungen auf der zweiten Wannsee-Nachfolgekonferenz. Darin forderte Sommer immer wieder ein Eintreten der katholischen Bischöfe für das Menschenrecht auf Leben und Freiheit.

Anfang März 1943 gelang es Margarete Sommer, Adolf Kardinal Bertram als Vorsitzenden der Bischofskonferenz zu einem Einspruch gegen die Verhaftung von jüdischen Ehepartnern aus sogenannten Mischehen zu bewegen. Nach Einschätzung der Historikerin Ursula Büttner trug „diese Intervention des sonst so überaus vorsichtigen Kardinals […] mindestens ebenso dazu bei, dass die Machthaber zurückwichen, wie die heute viel beachteten und in ihrer Wirkung vielleicht überschätzten Demonstrationen der Angehörigen in der Rosenstraße“.[3]

Am 22. und 23. August 1943 verfasste Sommer zwei Entwürfe für die deutschen Bischöfe zugunsten der Juden. Darin formulierte sie die Besorgnis über Bestrebungen, Mischehen auch ohne gesetzliche Regelung auflösen zu wollen. Sie kritisierte den teils schon umgesetzten lagermäßigen Arbeitseinsatz von in Mischehe lebenden Nichtariern, der zu dauerhafter Trennung führen könnte.[4] Im Januar 1944 protestierte Bischof Bertram gegen die nun ausgereiften Pläne, die nichtarischen Ehepartner aus Mischehen in besonderen Arbeitskolonnen der Organisation Todt zu konzentrieren.[5]

Nach 1945 wirkte Sommer bei der katholischen Frauenseelsorge und zählte zu den ersten Mitgliedern der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin. 1950 floh sie vor den Kommunisten aus Kleinmachnow nach Berlin (West). Im April 1960 wurde sie pensioniert. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof der St.-Matthias-Gemeinde in Berlin.[6]

Margarete-Sommer-Platz in Kleinmachnow

Papst Pius XII. zeichnete Margarete Sommer 1946 mit dem Verdienstorden Pro Ecclesia et Pontifice aus. 1953 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz I. Klasse verliehen. Der Senat von Berlin nahm sie 1961 in die Liste der „Unbesungenen Helden“ auf. Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zeichnete sie 2003 posthum mit dem Ehrentitel Gerechte unter den Völkern aus.[7][8] 1993 wurde im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg die vormalige Werneuchener Straße nach Margarete Sommer benannt, am 8. Mai 2014 in Kleinmachnow ein Platz mit einer Gedenkstele für Überlebende des nationalsozialistischen Terrors und die als „stille Helden“ bezeichneten Helfer.

  • Die Fürsorge im Strafrecht: vor der Anklage, im Verfahren, nach der Entlassung. Mit einem Geleitwort von Ignaz Jastrow. C. Heymann, Berlin 1925, OCLC 72276058.
  • Heinrich Herzberg: Dienst am Höheren Gesetz: Dr. Margarete Sommer und das „Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat Berlin“. Servi, Berlin 2000, ISBN 3-933757-02-9.
  • Erich Klausener: Margarete Sommer. In: Wolfgang Knauft (Hrsg.): Miterbauer des Bistums Berlin. Morus-Verlag, Berlin 1979, ISBN 3-87554-176-6, S. 153–180.
  • Jana Leichsenring: Margarete Sommer. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 23, Bautz, Nordhausen 2004, ISBN 3-88309-155-3, Sp. 1395–1399.
  • Jana Leichsenring: Katholische Frauen im NS. Zwischen Widerstand und Seelsorge. In: Jana Leichsenring (Hrsg.): Frauen und Widerstand. Münster 2003, S. 36 ff.
  • Jana Leichsenring, Die katholische Kirche und „ihre Juden“. Das „Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat Berlin“ 1938–1945. Berlin 2007.
  • Antonia Leugers: Widerstand oder pastorale Fürsorge katholischer Frauen im Dritten Reich? Das Beispiel Dr. Margarete Sommer (1893–1965). In: Irmtraud Götz von Olenhusen: Frauen unter dem Patriarchat der Kirchen: Katholikinnen und Protestantinnen im 19. und 20. Jahrhundert. Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln 1995, ISBN 3-17-013906-1, S. 161–188.
  • Ursula Pruß: Margarete Sommer (1893–1965). In: Jürgen Aretz, Rudolf Morsey, Anton Rauscher (Hrsg.): Zeitgeschichte in Lebensbildern, Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts, Band 7, Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster 1997, ISBN 978-3-402-06112-1, S. 95–106. (Digitalisat)
  • Wolfgang Knauft: Unter Einsatz des Lebens. Das Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat Berlin für katholische „Nichtarier“ 1938–1945. Bischöfliches Ordinariat Berlin West, Berlin 1988, DNB 881362336.
  • Zwei Tage von vielen. Bundesrepublik Deutschland, 1960/61–64, 65 Min. Erstsendung im ZDF: 11. März 1964. Drehbuch: Paul Hans Rameau, Regie: Ralph Lothar (im Film wurde „detailliert die Arbeit von M. Sommer und des ‚Hilfswerks‘ geschildert. Ihr Name wurde nicht genannt, sie erscheint im Film als ‚Frau Dr. Landmann‘. An der Erstellung des Films war Margarete Sommer selbst noch beteiligt.“[9])
Commons: Margarete Sommer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Jana Leichsenring: Die katholische Kirche und „ihre Juden“. Das „Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat Berlin“ 1938–1945 (= Technische Universität Berlin. Zentrum für Antisemitismusforschung [Hrsg.]: Dokumente, Texte, Materialien. Band 67). Metropol, Berlin 2007, ISBN 978-3-938690-58-1 (Zugl.: Berlin, Techn. Univ., Diss., 2005 u. d. T.: Jana Leichsenring: Und nehmt Euer Kreuz auf Euch! Die Katholische Kirche und ihre Juden).
  2. Joachim Jauer: „Gerechte unter den Völkern“: Wie Margarete Sommer und Elisabeth Schmitz zahlreiche Juden retteten. In: Deutschlandfunk Kultur. 6. Mai 2018, abgerufen am 12. April 2019.
  3. Ursula Büttner: Die anderen Christen. Ihr Einsatz für verfolgte Juden und „Nichtarier“ im nationalsozialistischen Deutschland. In: Beate Kosmala, Claudia Schoppmann (Hrsg.): Überleben im Untergrund. Hilfe für Juden in Deutschland 1941–1945 (= Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Band 5). Metropol, Berlin 2002, ISBN 3-932482-86-7, S. 127–150, hier: S. 134.
  4. Dokument VEJ 11/72. In: Lisa Hauff (Bearb.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945 (Quellensammlung). Band 11: Deutsches Reich und Protektorat Böhmen und Mähren April 1943–1945. De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston 2020, ISBN 978-3-11-036499-6, S. 245–249.
  5. Dokument VEJ 11/111. In: Lisa Hauff (Bearb.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945 (Quellensammlung). Band 11: Deutsches Reich und Protektorat Böhmen und Mähren April 1943–1945. De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston 2020, ISBN 978-3-11-036499-6, S. 344–346.
  6. Ehrengräber auf dem St. Matthias-Friedhof. In: st-matthias-berlin.de. Pfarrei St. Matthias, abgerufen am 1. Dezember 2015.
  7. Stefan Kaufer: Wie die Kirche vielen verfolgten Juden half. Margarete Sommer setzte sich mit ihrem Berliner Hilfswerk mutig für die Verfolgten ein. Posthum erhielt sie dafür jetzt eine hohe Ehrung. In: Rheinischer Merkur. Nr. 32, 7. August 2003.
  8. Margarete Sommer auf der Website von Yad Vashem, abgerufen am 6. März 2017 (englisch).
  9. Dr. Martin Höllen, Joernalist: Margarete Sommer alias „Frau Dr. Landmann“. Filmaufführung und Vortrag über die Mitbegründerin der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit anlässlich des 67. Gründungstages der GCJZ Berlin. 24. November 2016. In: gcjz-berlin.de. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin e. V., 2017, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 8. April 2017; abgerufen am 12. April 2019 (Abschnitt: November 2016).