Mathematische Psychologie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Mathematische Psychologie ist eine Teildisziplin der Psychologie, die sich – im Gegensatz zu anderen Teildisziplinen – über ihre Arbeitsmethoden und nicht über ihren Gegenstand definiert. In der mathematischen Psychologie werden psychologische Modelle mathematisch formalisiert und beschrieben.

Anwendungsbereiche

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anwendung findet die Disziplin z. B. in der psychologischen Skalierung, vielfach für psychometrische Anwendungen, in der Psychophysik, der Signalentdeckungstheorie, in Form von Lernmodellen, in der Psychologie des Wissens, Entscheidungstheorie oder der Wahrnehmungspsychologie, aber auch in der Informationstheorie, z. B. zur Messung des Neuigkeitswerts von Nachrichten, oder auch in der Sozialpsychologie, der Klinischen Psychologie sowie in der Arbeits- und Organisationspsychologie.

Verwendete Modelle

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Besonders in der Kognitiven Psychologie haben sich multinomiale Verarbeitungsbaummodelle (MVB) bewährt. Für die Analyse von Reaktionszeiten sowie der Häufigkeiten korrekter Antworten werden bei einfachen binären Entscheidungsaufgaben in letzter Zeit auch vermehrt Random-Walk-Modelle eingesetzt. Das Diffusionsmodell (R. Ratcliff, 1978) ist mathematisch formalisiert als kontinuierlicher Random-Walk-Prozess (siehe Wiener-Prozess). Ähnliche Gleichungen finden sich in physikalischen Modellen der Brownschen Molekularbewegung wieder. Es werden überwiegend wahrscheinlichkeitstheoretische Modelle verwendet, man findet aber durchaus auch deterministische Modelle. Die mathematischen Formalisierungen haben den Vorteil, dass sie genauere Vorhersagen erlauben – und damit auch schärferen empirischen Überprüfungen unterzogen werden können. Theoretiker werden somit auch stärker gezwungen, genaue und explizite Formalisierungen und Operationalisierungen hypothetischer Prozesse anzugeben.

Organisation und Publikationen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zentrale Zeitschriften sind Psychometrika, das Journal of Mathematical Psychology und das British Journal of Mathematical and Statistical Psychology, außerdem findet man auch zahlreiche Veröffentlichungen im Mathematical Social Sciences. In den USA gibt es eine Society for Mathematical Psychology, die jährliche Tagungen veranstaltet; in Europa gibt es die (informelle) European Mathematical Psychology Group (EMPG), ebenfalls mit jährlichen Tagungen.

Hintergrund der mathematischen Psychologie ist ein Verständnis der Psychologie als experimentelle bzw. empirische Naturwissenschaft. Diese Sichtweise ist eine direkte Folge aus dem Grundverständnis der Psychologie, wie es von ihren Pionieren (Wilhelm Wundt, Gustav Theodor Fechner, Karl Pearson, Hermann Ebbinghaus, Alfred Binet, Charles Spearman, William Stern u. v. a.) verstanden wurde. Seit dem Zweiten Weltkrieg finden sich innerhalb der Psychologie auch zunehmend stärker sozialwissenschaftliche Ausprägungen. Dabei sagt die Anbindung an eine Fakultät (geistes-, natur- oder sozialwissenschaftlich) nichts über die Ausrichtung des Fachbereiches aus, da diese in der Regel rein historisch oder verwaltungstechnisch begründet ist.

Die Entwicklung der mathematischen Psychologie lässt sich entlang dreier Themenschwerpunkte strukturieren:

  1. In ihren Anfängen im späten 19. Jahrhundert wurde die mathematische Psychologie durch das Formulieren und Testen von Modellen psychologischer Phänomene geprägt.
  2. In den frühen 1900er Jahren begann das Studium und die Erläuterung mathematischer Methoden, die auf psychologische Forschungsprobleme anwendbar sind, hauptsächlich über die Anwendungen der mathematischen Statistik. Diese hat seither kontinuierlich an Bedeutung und spezifischer Relevanz für die psychologische Forschung zugenommen.
  3. Mitte des 20. Jahrhunderts tauchte erstmals der Aspekt der Analyse abstrakter Formalismen und deren Anwendung auf die psychologische Datenanalyse und -modellierung auf. Daran knüpften wichtige Forschungsgebiete an, darunter visueller Raum, stochastische Lernprozesse, Graphentheorie in Bezug auf soziale Interaktion und Kommunikation, psychologische Messtheorie und die breite Klasse der interaktiven Netzwerkstrukturen ("neuronale Netze").[1]
  • Über mathematische Psychologie
    • Falmagne, J.-Cl. (2005). Mathematical psychology - A perspective. Journal of Mathematical Psychology, 49, 436-439.
    • Luce, R.D. (Ed.) (1963). Handbook of Mathematical Psychology. New York: Wiley. [Bd. 1 & 2: 1963, Bd. 3: 1965]
    • Wendt, D. (1988). Mathematische Psychologie. In R. Asanger & G. Wenninger (Hrsg.), Handwörterbuch der Psychologie. Weinheim: PVU.
  • Lehrbücher zur mathematischen Psychologie
    • Coombs, C.H., Dawes, R.M. & Tversky, A. (1970). Mathematical psychology - an elementary introduction. Englewood Cliffs, N.J.: Prentice-Hall
    • Deppe, W. (1976). Formale Modelle in der Psychologie. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer.
    • Heath, R. A. (2000). Nonlinear dynamics: Techniques and applications in psychology. Mahwah, NJ: Erlbaum.
    • Kempf, W. & Andersen, E.B. (Ed.) (1977). Mathematical models for social psychology. Bern: Huber.
    • Restle, F. & Greeno, J. (1970). Introduction to Mathematical Psychology. Reading. MA: Addison-Wesley.
    • Sixtl, F. (1996). Einführung in die Exakte Psychologie. München; Wien: Oldenbourg.
    • Sydow, H. & Petzold, P. (1982). Mathematische Psychologie. Mathematische Modellierung und Skalierung in der Psychologie. Berlin: Springer, ISBN 978-3-540-11339-3.
    • Townsend, J. T., & Ashby, F. G. (1983). Stochastic modeling of elementary psychological processes. Cambridge: Cambridge University Press.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Mathematical Psychology, History of W.K. Estes, in International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2001. In: Science Direct: Mathematical Psychology. Elsevier, 2022, abgerufen am 23. September 2022 (englisch).