Quantenstatistik

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Die Quantenstatistik wendet zur Untersuchung makroskopischer Systeme die Methoden und Begriffe der klassischen statistischen Physik an und berücksichtigt zusätzlich die quantenmechanischen Besonderheiten im Verhalten der Teilchen. Sie geht davon aus, dass sich das System in einem Zustand befindet, der nur durch makroskopische Größen bestimmt ist, aber durch eine große Anzahl verschiedener, nicht näher bekannter, Mikrozustände realisiert sein kann. Jedoch wird das Abzählen der verschiedenen möglichen Mikrozustände dahin gehend abgeändert, dass das Vertauschen zweier gleicher Teilchen keinen verschiedenen Mikrozustand hervorbringt. Damit wird dem besonderen Charakter der Ununterscheidbarkeit identischer Teilchen Rechnung getragen. Außerdem werden für die Energien der Zustände einzelner Teilchen nur die quantenmechanisch möglichen Werte zugelassen.

Wie die Quantenmechanik berücksichtigt auch die Quantenstatistik die folgende doppelte Unkenntnis:[1]

  1. Kennt man den Zustand eines Systems genau – liegt also ein reiner Zustand vor – und ist dieser kein Eigenzustand der Observablen, so kann man den Messwert einer Einzelmessung dennoch nicht exakt vorhersagen.
  2. Kennt man den Zustand des Systems nicht genau, so muss von einem gemischten Zustand ausgegangen werden.

Liegt das System in einem Zustand vor, der durch einen Vektor des Hilbertraums oder durch eine Wellenfunktion gegeben ist, spricht man von einem reinen Zustand. In Analogie zum klassischen Ensemble werden meist Ensembles verschiedener reiner Zustände betrachtet, die Zustandsgemische (auch semantisch weniger präzise als gemischten Zustände bezeichnet). Diese werden beschrieben durch den Dichteoperator (auch statistischer Operator, Zustandsoperator oder Dichtematrix genannt):

.

Er beschreibt, mit welchen reellen Wahrscheinlichkeiten sich das System in den einzelnen reinen Zuständen befindet.

Die Überlagerung ist inkohärent. Dies drückt sich darin aus, dass der Dichteoperator von Phasenbeziehungen zwischen den Zuständen unabhängig ist. Etwaige komplexe Phasenfaktoren, die sich bei kohärenter Überlagerung auswirken würden, heben sich in den Projektionsoperatoren heraus.

Eine Folge ist, dass Vorgänge, bei denen Kohärenz wichtig ist, z. B. Quantencomputing oder Quantenkryptographie, nicht leicht im Rahmen der Quantenstatistik beschrieben werden können bzw. durch thermodynamische Effekte erschwert werden.

Ununterscheidbare Teilchen

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Die Existenz identischer Teilchen ist für die Quantenstatistik von fundamentaler Bedeutung. Identische Teilchen sind Quantenobjekte, die sich durch keine Messung unterscheiden lassen; d. h., der für die Quantenphysik grundlegende Hamiltonoperator des Systems (siehe z. B. Mathematische Struktur der Quantenmechanik) muss symmetrisch in den Teilchenvariablen sein, z. B. in den Orts- und Spinfreiheitsgraden des einzelnen Teilchens. Die Vielteilchen-Wellenfunktion muss also unter Vertauschung bis auf einen Faktor vom Betrag 1 [2] gleich bleiben, jeder Operator einer Observable kommutiert mit jeder Permutation der identischen Teilchen:

Da jede Permutation aus Transpositionen zusammengesetzt werden kann und gilt, ist es sinnvoll nur total symmetrische () oder total antisymmetrische () Vielteilchenzustände zu betrachten:

.

Mit anderen Worten: für symmetrische Vielteilchenzustände identischer Teilchen bleibt bei Vertauschen zweier beliebiger Teilchen das Vorzeichen der Gesamtwellenfunktion erhalten, bei antisymmetrischen Vielteilchenzuständen wechselt es.

Das Experiment zeigt, dass die Natur tatsächlich nur solche Zustände realisiert, was am Fehlen von Austauschentartung erkennbar ist. Man bezeichnet diese Tatsache auch als Symmetrisierungspostulat.

Bosonen und Fermionen

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Die Wahrscheinlichkeiten , mit denen ein Vielteilchensystem auf seine einzelnen reinen Zustände verteilt ist, beschreibt für Bosonen die Bose-Einstein-Statistik und für Fermionen die Fermi-Dirac-Statistik.

Dabei sind Bosonen Teilchen mit ganzzahligem, Fermionen mit halbzahligem Spin, jeweils gemessen in Einheiten von (reduzierte Planck-Konstante). Außerdem ist die Wellenfunktion der Bosonen symmetrisch und diejenige der Fermionen antisymmetrisch.

Diese Verknüpfung des Teilchenspins mit der Symmetrie der Wellenfunktion bzw. dem Vorzeichen der Wellenfunktion bei Vertauschung zweier Teilchen wird als Spin-Statistik-Theorem bezeichnet. Es wurde von Wolfgang Pauli aus allgemeinen Prinzipien der relativistischen Quantenfeldtheorie bewiesen.

In zwei Dimensionen ist auch ein Phasenfaktor bei Vertauschung denkbar, diese Teilchen werden Anyonen genannt, bisher aber nicht beobachtet. Bei Anyonen können rationale Zahlen für den Spin auftreten.

Beispiele für quantenstatistische Effekte, d. h. Effekte, bei denen die Vertauschungseigenschaften der Gesamtwellenfunktion eine entscheidende Rolle spielen, sind:

Zusammenhang mit dem Drehverhalten der Wellenfunktion

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Auch das Drehverhalten der Wellenfunktion ist in diesem Zusammenhang interessant: bei einer räumlichen Drehung um 360° ändert sich die Wellenfunktion für Fermionen nur um 180°:

,

während sie sich für Bosonen reproduziert:

.

Durch eine solche 360°-Drehung kann die Vertauschung zweier Teilchen erfolgen: Teilchen 1 bewegt sich zum Ort 2, z. B. auf der oberen Hälfte einer Kreislinie, während Teilchen 2 sich zum leer gewordenen Ort von 1 auf der unteren Halbkreislinie bewegt, um ein Zusammentreffen zu vermeiden. Das Ergebnis der Permutationsgleichung passt also zum ungewöhnlichen Drehverhalten fermionischer Wellenfunktionen (mathematische Struktur: siehe Doppelgruppe SU(2) zur gewöhnlichen Drehgruppe SO(3)).

Statistik idealer Quantengase

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Zur Herleitung der Statistik idealer Quantengase betrachten wir ein System im großkanonischen Ensemble, d. h. das betrachtete System sei an ein Wärmebad und an ein Teilchenreservoir angekoppelt. Die großkanonische Zustandssumme ist dann gegeben durch

wobei die Spurbildung, der Hamilton-Operator und der Teilchenzahloperator ist. Die Spur lässt sich am einfachsten mit gemeinsamen Eigenzuständen zu beiden Operatoren ausführen. Dies erfüllen die sog. Fockzustände . Dabei ist die Besetzungszahl des -ten Eigenzustands. Dann schreibt sich die Zustandssumme als

Dabei hängt die Energie von der Gesamtteilchenanzahl und der Besetzung der jeweiligen Eigenzustände ab. Der -te Eigenzustand habe die Energie . Dann bedeutet eine -fache Besetzung des -ten Eigenzustandes einen Energiebeitrag von und Gesamtenergie von . Somit lautet die Zustandssumme

Die zweite Summe läuft über alle möglichen Besetzungszahlen ( für Fermionen, bzw. für Bosonen), deren Summe stets die Gesamtteilchenzahl ergibt. Da zusätzlich über alle Gesamtteilchenzahlen summiert wird, kann man beide Summen zusammenfassen, indem die Beschränkung in der zweiten Summe aufgehoben wird:

Die Summe lässt sich für die beiden Teilchensorten auswerten. Für Fermionen erhält man

und für Bosonen

wobei im letzten Schritt die Konvergenz der geometrischen Reihe gefordert wurde. Mit Kenntnis der großkanonischen Zustandssumme lässt sich auch das großkanonische Potential

angeben. Damit lassen sich die thermodynamischen Größen Entropie , Druck und Teilchenzahl (bzw. jeweils die mittleren Größen) erhalten:

Wir interessieren uns hier für die mittlere Besetzungszahl des -ten Zustandes. Unter Ausnutzung der Relation mit dem Kronecker-Delta erhält man:

Das ergibt für Fermionen die Fermi-Dirac-Verteilung

und für Bosonen die Bose-Einstein-Verteilung

Zentrale Anwendungen

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Der Formalismus berücksichtigt sowohl die thermodynamischen als auch die quantenmechanischen Phänomene.

Der gerade behandelte Unterschied zwischen Fermionen und Bosonen ist dabei wesentlich: So sind z. B. die quantisierten Schallwellen, die sog. Phononen, Bosonen, während die Elektronen Fermionen sind. Die betreffenden Elementaranregungen liefern in festen Körpern ganz unterschiedliche Beiträge zur spezifischen Wärme: der Phononenbeitrag hat eine charakteristische Temperaturabhängigkeit während sich der Elektronenbeitrag verhält, also bei hinreichend tiefen Temperaturen in allen Festkörpern, in denen beide Anregungen auftreten (z. B. in Metallen), stets der dominierende Beitrag ist.

Für diese und ähnliche Probleme kann man oft auch Methoden der Quantenfeldtheorie anwenden, z. B. Feynman-Diagramme. Auch die Theorie der Supraleitung kann man so behandeln.

Einzelnachweise und Fußnoten

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  1. Wolfgang Nolting: Grundkurs Theoretische Physik 6: Statistische Physik. Springer, 2007, ISBN 3540688714, S. 101 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  2. Wegen der Erhaltung der Wahrscheinlichkeit, die durch ausgedrückt wird.